Erst Haltung - dann Handlung !
Sechs Reiter-Pferd-Kombinationen und einige Zuschauer fanden sich am 8.9. 2012 auf der Reitanlage der Familie Sell in Schiphorst ein, um an einem Tageskurs m mit Lou Roper (Thema: individuelle Problemlösung) teilzunehmen.
Lou, der aus San Diego/CA kommt, hatte als Übersetzer Martin Otremba mitgebracht.
Gleich am Anfang gab uns Lou zu verstehen, dass wir nicht alles vorher Gelernte vergessen sollten, sondern vielmehr seine Anregungen als ein weiteres Handwerkszeug in unsere persönliche „Schatzkiste“ legen könnten.
Jeweils in 2er-Gruppen wurden dann die Reiter-Pferd-Kombinationen begutachtet und Lou ging auf die von den Reiterinnen geschilderten Probleme ein.
Immer wieder erwähnte er, dass er sehr viel Wert auf eine vernünftige Basisarbeit legt. Erst, wenn diese getan und dem Pferd auch genügend Zeit gegeben wurde, die Dinge zu verstehen und umzusetzen, könne man mit dem nächsten Schritt weiter machen (so steht es ja auch in unserer Ausbildungsskala).
Demnach sollte dann die Reiterin, deren Pferd zu schnell und mit hohem Kopf trabte, nicht gleichzeitig versuchen, das Tempo zu reduzieren und den Kopf „herunter zu arbeiten“, sondern sich zunächst nur auf das Tempo konzentrieren. Und siehe da: Nachdem sich das Pferd im langsameren Tempo nach einer Weile entspannte, ließ es den Kopf sogar von selbst fallen. ;o)
Lou sagte, dass Reiter ihren Pferde oft zu viele Informationen gleichzeitig geben. Außerdem würden auch oft Dinge, die man theoretisch weiß, praktisch nicht umgesetzt.
Und das zeigte sich gleich darauf, als sich eine Reiterin beim Anhalten ihres Pferdes prompt dabei ertappte, wie sie alle Hilfen (Sitz, Beine, Stimmkommando und Zügel) gleichzeitig anwendete, anstatt zunächst nur den Sitz nach hinten zu verlagern.
Lou wies mehrfach auf den Sitz als wichtigste Voraussetzung zur Verständigung mit dem Reittier hin (Haltung vor Handlung!). Wenn man in der Körpersprache klar und konsequent ist, kann man nach und nach die weiteren Hilfen weglassen [und vielleicht sein Pferd irgendwann auch ohne Zaumzeug und Stimmkommandos wie Lou reiten (;o))].
Bei einer leckeren Pizza in der Mittagspause fragte ich ihn dann, ob in der USA auch mehrheitlich Frauen an seinen Kursen teilnehmen würden. Er antwortete scherzhaft, das sei der Grund, warum er heute keine Rodeos mehr reiten würde. Beim Rodeo schauen 199 Männer und 1 Frau zu, während er heute 199 Frauen und 1 Mann als Kursteilnehmer hätte. :-)
Am Nachmittag stellte eine Reiterin ihr Pferd vor, das in der Westernpleasure auf der Geraden gelegentlich falsch angaloppiert.
Lou bat sie, sich gründlich Zeit für die Vorbereitung zu nehmen. Meistens verfalle man zu sehr in Hektik, sobald man das Kommando „Lope your horse“ hört und gebe die Kommandos zu schnell.
Er simulierte eine Prüfungssituation und bat die Reiterin, nach seinem Kommando Schritt für Schritt ruhig das Angaloppieren über Sitz/Hilfengebung einzuleiten und zu warten, bis das Pferd „seine Füße sortiert“ habe. Gesagt – getan… und wir sahen an diesem keinen einzigen falschen Angalopp dieses Pferdes mehr.
Geduld und Zeit brauchte auch eine weitere Reiterin, deren Pferd - statt auf eine Volte zu gehen - gleich Spins absolvierte. Da die darauf zugeschnittene Übung sehr schwierig ist, schwang sich Lou zunächst selbst auf das Pferd. Nach ein paar Versuchen gelang es ihm, das Pferd stark gebogen auf eine sehr enge Volte zu bringen. Während dieser Übung sah man mehrfach sehr gut, wie das Pferd „überlegte“ und erst dann weitermachte, als es begriffen hatte, was hier Neues von ihm gefordert war.
Eine lustige Showeinlage bekamen wir vorgeführt, als jemand die Frage stellte, wie man die Aufmerksamkeit seines „guckigen“ Pferdes einfordern kann: Lou wendete sich Martin zu, stieß ihn immer wieder an, während er zu ihm sagte: „Martin, schenke mir Deine Aufmerksamkeit“, „Martin, schenke mir Deine Aufmerksamkeit“, „Martin, schenke mir Deine Aufmerksamkeit“, „Martin!“, „Martin, schenke mir Deine Aufmerksamkeit“, „Martin!“…
Dann fragte er uns, ob wir glaubten, dass er hiermit Martins Aufmerksamkeit bekommen würde. - Gelächter.
Lou’s Fazit: „Ein Pferd ist nur aus zwei Gründen nicht aufmerksam: Entweder der Reiter ist unklar oder das Pferd ist unterfordert.“
Viele weitere nützliche Informationen bekamen wir an diesem Tag – zur Frage der Qualität eines Galopps beim Lope Over bis zum natürlichen Bewegungsablauf des Pferdes im Vergleich zum antrainierten beim Rückwärtsrichten im Stangen-L. Wer einmal die Chance hat, an einem Lou Roper-Kurs teilzunehmen, kann so manches Aha-Erlebnis für sich mit nach Hause nehmen.
Mir als „Nur“-Zuschauerin haben seine Philosophie „Just be easy“ und der Ausspruch „It happens instead of making it happen“ sehr in den Bann gezogen und ich werde versuchen, meinem Pferd in Zukunft weniger komplizierte Arbeitsanweisungen zu geben – und natürlich noch mehr auf meinen Sitz achten.
Petra Gerken